Es geht weiter


„Wo bitte, geht's zum Kapitän?“
Eine Reiseleiterin auf ihrem Weg zum Glück.
Der Erlebnisse zweiter Teil …

 

erscheint Ende März 2022

Ausschnitt aus dem 2. Teil
(Änderungen vorbehalten)

Aufgaben einer Kreuzfahrtleiterin


Auf einem Schiff, das die Flüsse befährt, nimmt das Leben einen gemütlicheren Gang als auf den Meeren
dieser Welt. Die Dimensionen schrumpfen. Weniger Wasser, weniger Betten, weniger Schiffsbesatzung.
Nur die Zahl der Aufgaben, die auf eine Kreuzfahrtleiterin zukommt, die schrumpft nicht. Und deshalb
bleibt der Job an Bord eines Flusskreuzfahrers mindestens genauso stressig wie der auf einem Seeschiff.
Nur dass jetzt mehr Aufgaben auf die Kreuzfahrtleiterin zukommen.
Vereinfacht ausgedrückt, ist die Kreuzfahrtleiterin Mädchen für alles. Sie heißt die Passagiere willkommen,
und sie verabschiedet sie. Dazwischen ist sie Alleinunterhalterin und Erklärerin, ist treibende Kraft und
besänftigende Stimme. Sie ist Sturm und Drang, und ihre Fähigkeit, stumme Lippen zu verstehen, ist
unerreicht. Sie leiht ihr Ohr, wenn im Hörgerät die Batterie ausfällt, und tröstet, wenn das Rührei beim
Frühstück nicht safrangelb ist. Die Kreuzfahrtleiterin hält die Fans des Käpt’ns auf Abstand. Sie knetet die
Arthrose weg und löst die Knoten der Seele. Sie führt einen Kummerkasten und die Wanderung rund ums
Deck. Die Kreuzfahrtleiterin weint mit Oma, die ihr Enkelkind vermisst, sie albert wie der Clown in der
Manege, sie agiert wie die Schauspielerin im Rampenlicht. Sie ist der Boxsack, der Prellbock, der
Blitzableiter, trennt Streitende und wiedervereint Liebende. Sie lässt, einem Kegel gleich, die Kugel an sich
abprallen, ohne zu wanken. Sie zaubert Kaninchen aus dem Zylinder und bleibt selbst immer bezaubernd.
Sie ist eine Magierin, eine Gauklerin. Perfekt geschminkt, erfüllt die Kreuzfahrtleiterin siebenundzwanzig
Stunden am Tag jeden Wunsch, den ausgesprochenen wie den gedachten.

Leckerei als Abendprogramm
Ausschnitt aus Band 2
(Änderungen vorbehalten!)

Nicht nur das Schiff ist in Bewegung, auch die Besatzung gibt sich ab und an die Klinke in die Hand – neue Kolleginnen und Kollegen entern das Schiff. An Bord bleibst du nur, wenn es auf Weltreise geht.

Ernst war zu uns gekommen, als auf der MS Lady mehrere Wechsel anstanden. Einige von uns hatten Urlaub, andere brachen den Job ab. Wie es halt so zugeht auf einem Kreuzfahrtschiff. 

Ernst kam von der MS Countess, dem Spaßboot der Flotte. Es dauerte keine Viertelstunde, und ich war verliebt in den gemütlichen Wiener. Aber nicht, was du jetzt denkst! Ernst und ich, wir hatten nichts miteinander. Ernst liebte Männer, ein in unserem Job häufig anzutreffende variation d’amour. Ich gestehe, es gab mir einen winzig kleinen Stich, als ich davon erfuhr, dann fand ich eine Spezialkategorie für ihn: Ich adoptierte ihn! Ab sofort war Ernst mein »Schiffspapi«!

Ernst besitzt ein unerschütterliches Gemüt, nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. So einen brauchst du an Bord, einen, der die Aufgeregten wieder einfängt, einen, der die Nörgler, Drängler und Dauerkritiker besänftigt. Einen, der für eine geordnete Schlange sorgt, wenn es mal heißen sollte: »Frauen und Kinder zuerst!« Ernst hätte sogar dem Sturm Einhalt geboten, der die römische Kriegsflotte in der Straße von Sizilien zerbröselte und mit ihr 100.000 Seelen. Aber das ist lang her.

 

Wenn wir Besatzungsmitglieder die Abendshow gestalteten und Ernst die Bühne betrat, waren selbst die Kolleginnen mucksmäuschenstill, nicht nur die Passagiere hingen an seinen Lippen. Ernst sang nicht, Ernst zauberte nicht – Ernst verzauberte. Ernst plauderte mit dem Publikum über sein Leben. Schilderte seine Erlebnisse, sprach darüber, wie das Wasser der Nordsee schmeckt und die Tintenfische auf Kreta, wie der Wind klingt auf Jamaica und im »Marche Central«, dem historischen Markt in Casablanca. Ernst entführte uns Zuhörer aus der luxuriösen Enge der MS Lady hinaus in die wirklich weite Welt. Und während er so vor sich hin erzählte, buk mein Schiffspapi einen »Wiener Apfelstrudel«. 

»What do you want, you white bastard?« Der schwarze Mann vor ihm, so erzählte mein Schiffspapi, während er den Strudelteig liebkoste, passte kaum in seinen Bürostuhl und schien den zerbrechlichen Container auszufüllen – ein unangenehmer, dummer Mensch mit Machtbefugnis, der aber darüber entschied, wer in Miami an Bord gehen durfte. Und Ernst durfte! So kam er, nachdem er diese unangenehme Hürde genommen hatte, als Kellner zur Seefahrt. Ernst stürzte sich in die Aufgabe und kümmerte sich vornehmlich um die Damen. Sie lagen ihm zu Füßen, er war ihr Liebling. Wenn Ernst das Frühstück porträtierte mit den tausenderlei Ei-Varianten, gingen sämtliche Wimpern am Tisch auf Halbmast, schmachteten die Augen, vibrierten Dekolletés, brachten sich die Abenteuerhungrigen in Stellung: »Scrambled eggs, cooked eggs, fried eggs, sunside eggs …« Ernst sang das Angebot, es klang, als ob die Küche Kaviar pur mit Goldtupfer servieren würde! Und anschließend beriet Ernst, der Mann mit dem erlesenen Geschmack, die Damen beim Einkauf der richtigen Strumpfhosen.

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